Der weite Weg von der Schule nach dem Lockdown bis zur Schule des 21. Jahrhunderts
Abrupt kam der Präsenzunterricht im März 2020 zum Erliegen. Die meisten Lehrpersonen nutzten für den Fernunterricht digitale Werkzeuge. Wer nicht bereits vorher routiniert im Umgang damit war, entwickelte zumindest Anwendungskompetenzen deutlich weiter. Doch das neue Zeitalter verlangt auch ein neues Mindset.
Die meisten Lehrpersonen dürften aufgrund des Lockdowns ihre Kompetenzen im Umgang mit digitalen Werkzeugen verbessert haben. Sobald wir ein neues Werkzeug verwenden, steigt unsere Fähigkeit, damit umzugehen. Je länger wir eine Bohrmaschine nutzen, desto erfahrener werden wir und desto kompetenter können wir damit Löcher in verschiedene Materialien bohren.
Einige Werkzeuge verändern Prozesse kaum. Andere haben die Kraft, ältere Werkzeuge zu verdrängen und Prozesse zu verändern. Und dritte verändern sogar unsere Haltung, unsere Wertvorstellungen, unser Mindset.
Das Internet ist eine enorm disruptive Technologie. Es schafft den Nährboden für unzählige neue Sub-Technologien und Werkzeuge. Dank dem Internet war Fernunterricht in dieser Form überhaupt erst möglich.
Das Internet ist ein Kommunikationskanal, präziser: der bestimmende Kommunikationskanal der digital geprägten Gesellschaft. Kommunikation liegt allem zugrunde, somit nimmt das Internet Einfluss auf alle gesellschaftlichen Segmente, von der Wirtschaft über die Politik bis hin zum Bildungswesen.
Das Internet macht ein neues Mindset notwendig.
Wie bereits der Begründer der Medientheorie, der Kanadier Marshall McLuhan, feststellte, verwenden Menschen neue Technologien meistens zuerst so wie alte. Logisch, wir sind Prozesse gewohnt und versuchen diese mit der neuen Technologie abzubilden. So wird aus einer frontalen Präsenzstunde schnell einmal einfach eine digitale Präsenzstunde über einen Videokonferenz-Dienstleiter wie Zoom.
Doch die digitalen Möglichkeiten bieten viel mehr: Wir können kollaborativ an Dokumenten arbeiten, uns gegenseitig auf Dokumente aufmerksam machen, miteinander kommunizieren – synchron wie auch asynchron – Informationen schnell vervielfältigen und vieles mehr. Das eröffnet neue Möglichkeiten des Lernens, vor allem des Voneinander-Lernens.
Wie Simon Dueckert in seinem LernOS-Leitfaden ausführt, bilden Werkzeuge, Kompetenzen und Mindset eine Einheit. Die öffentliche Diskussion dreht sich beinahe ausschliesslich um digitale Werkzeuge und digitale Kompetenzen. Doch die Haltung, das Mindset, ist mindestens so zentral.
nach Simon Dückert, CCby
Viel Altbekanntes entstand in der industrialisierten Zeit. So zum Beispiel Print-Enzyklopädien. Ich spreche den Print-Enzyklopädisten durchaus digitale Skills zu. Immerhin haben sie Brockhaus & Co. auf digitalen Speichermedien veröffentlicht. Doch ihre Haltung war noch die alte. Sie gingen noch immer davon aus, dass ein enger Kreis von Expert*innen die Beiträge verfassen sollte. Das Kollaborative des Digitalen ignorierten sie. So wurden die Print-Enzyklopädien von der Wikipedia mit deren offenem Redaktionsmodell förmlich hinweggefegt. Digitale Skills sind wichtig, aber digital geprägte Haltungen ebenfalls.
Für das Schulsystem gilt dasselbe.In diesem Artikel über die Auswirkungen der digitalen Transformation habe ich darüber nachgedacht, wie sich das Mindset dem Transformationsprozess anpassen könnte.
Die Arbeitswelt der industrialisierten Gesellschaft war geprägt durch Lohnarbeit. Die meisten Menschen waren angestellt und erhielten Ende Monat den Lohn für die erbrachte Leistung.
Die Schule war nach dem selben Prinzip aufgebaut: Schülerinnen und Schüler versuchten, den für sie definierten Leistungsanforderungen gerecht zu werden und erhielten je nach Leistung einen Lohn in Form einer Schulnote.
Diese Gegebenheiten führten zu verschiedenen Glaubenssätzen, die das Mindset prägten. Einige sind:
Algorithmen übernehmen vermehrt repetitive Tätigkeiten. Menschen positionieren sich neben dem Computer und fokussieren auf Tätigkeiten, die der Computer (noch) schlecht kann: kreative Problemlöseaufgaben und Tätigkeiten mit hohen Ansprüchen an die Sozialkompetenz. Die meisten neuen Stellen entsprechen genau diesem Profil.
Gleichzeitig bietet das Internet ganz neue Möglichkeiten für Unternehmerinnen und Unternehmer. Menschen sind nicht mehr auf Arbeitsstellen angewiesen, sondern können sich selbst ihren Job gestalten.
Somit sieht die Welt plötzlich ganz anders aus: Wer gelernt hat, Anforderungen Dritter zu erfüllen, ist nicht gerade gut auf die Arbeitswelt vorbereitet. Wer hingegen kreativ ist, findet immer eine Möglichkeit für eine neue Geschäftsidee.
Somit könnten folgende Glaubenssätze sinnvoll sein für die digitale geprägte Gesellschaft:
Computer und Internet haben eine disruptive Kraft, die uns dazu zwingt, unser gesellschaftliches System tief an der Wurzel zu hinterfragen. Für das Schulsystem könnte das bedeuten: Braucht es Erwachsene, die für Kinder Leistungsanforderungen definieren? Braucht es wirklich noch einen Lehrplan? Und braucht es noch all die Elemente, die nur einem verbindlichen Lehrplan geschuldet sind: Jahrgangsklassen, Stundenpläne, 45-Minuten-Einheiten, Prüfungen, Noten?
Fremdbestimmtes Belehren war die Lösung der industrialisierten Gesellschaft, um auf die leistungsorientierte Berufswelt vorzubereiten. Die Lösung der digital geprägten Gesellschaft lautet: Lassen wir die Kinder spielen.
Spielen ist die natürliche Form des Lernens. Wie kann das genau aussehen? Um diese Frage zu beantworten, können wir einfach zurückschauen zu unseren Vorfahren, den Jägern- und Sammlern. Denn diese haben ihre Kinder jahrtausendelang spielerisch lernen lassen.
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